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Kleine Trauermomente im Alltag

Kleine Trauererlebnisse im Alltag

 

 

Trauer ist nicht immer nur das große Ereignis, ein geliebter Mensch stirbt. Es gibt viele Momente der Trauer im Alltag. Wenn wir uns erlauben, sie zu spüren, wird unser Leben reicher. Unsere Nachbarn sind weggezogen. Eine reizende junge Familie, sie waren sechs Jahre unsere Nachbarn, bekamen erst das eine Kind, dann das andere. Sie gossen immer unsere Blumen, und wir halfen uns gegenseitig im Alltag aus mit z.B. Paketannahme, Essen hochbringen, mal was Handwerkliches. Jetzt ist die Wohnung zu klein für sie geworden. Am Tag des Umzugs und noch ein paar Tage danach war ich traurig. Ich mochte die beiden Kinder sehr. Sie sind jetzt in ein Häuschen in eine andere Vorstadt gezogen, der Kontakt wird abreißen, unser Leben ist zu unterschiedlich.

 

 

Es gibt viele kleine und große Momente der Trauer im Alltag: Ein Kollege verlässt das Team, ein Kollege geht in Rente, ich habe eine Beförderung nicht bekommen oder eine Bewerbung wurde abgesagt. Eine Freundschaft zerbricht, ein Mensch zieht weg. Ein schöner, intensiver Urlaub geht zu Ende. Wie gehen wir damit um? Erlauben wir uns, diese Trauer zuzulassen und wahrzunehmen? Nehmen wir sie an als Übungsmomente für die großen Trauererlebnisse, die das Leben für uns bereit hält?

 

 

Die große Trauer erschreckt uns sehr. Ein Mensch stirbt, eine Scheidung, ein Verlust des Arbeitsplatzes, ein Verlust von Gesundheit. Das wirft uns aus der Bahn, zieht uns den Boden weg. Darauf gibt es keine Vorbereitung. Auch wenn ein Mensch nach langer Krankheit stirbt, erleben die Angehörigen, dass die vorweggenommene Trauer in der Pflegezeit nicht das gleiche ist wie die Trauer nach dem Tod. Aber wir können üben mit den kleinen Momenten der Trauer, sie bewusst wahrnehmen.

 

 

Trauer gehört zum Leben dazu wie die Liebe. Sie ist der Preis unserer Bindungsfähigkeit. Weil wir uns binden, weil wir Menschen lieben, Kollegen, Tiere und Gewohnheiten lieb gewinnen, fällt es uns sehr schwer, auf sie zu verzichten. Die kleinen Abschiede bewusst zu gestalten, das ist das Besondere im Leben. Dem Kollegen ein Abschiedsgeschenk machen, wenn er geht, oder den Nachbarn, die wegziehen.

 

 

Wir haben alle eine emotionale Landkarte in uns von Gefühlen, die wir an uns mögen, die wir besser zulassen können, und Gefühle, die wir an uns gar nicht mögen, die uns Schwierigkeiten bereiten. Dabei ist es individuell ganz unterschiedlich, welche Gefühle wir gut annehmen können und welche nicht. Manchmal ist das negativ Erlebte Trauer, Neid, Ekel, Wut, Groll, Zorn. Gefühle im Alltag wahrzunehmen, sie immer wieder anzunehmen und anzuschauen, das stärkt uns, wenn das Leben uns die großen und kleinen Verluste zumutet.

 

 

In der ersten, akuten Phase der Trauer merken wir oft wenige Gefühle, stehen unter Schock, scheinen nur zu funktionieren oder sind wie gelähmt. Dann folgt meistens eine Phase mit chaotischen Gefühlen, in denen Trauernde oft unter starken Stimmungsschwankungen leiden. Erst wenn sich eine Zeitlang viele unterschiedliche Gefühle abgewechselt haben, kommt wieder eine gewisse Ruhe in den Trauerprozess und es geht um das Pflegen und Hegen von Erinnerungen.

 

 

In diesen Wochen habe ich einige Anrufe von Trauernden bekommen. Trauer kennt keine Jahreszeit. Die meisten Menschen melden sich für eine Trauerbegleitung in dieser Phase der aufbrechenden, chaotischen Emotionen. Wenn die erste Zeit des Funktionierens und Erledigens rund um die Beerdigung vorbei ist, ist mehr Raum, um sich mit Gefühlen auseinander zu setzen. Manche haben Angst, dass die Trauer nicht endet, manche wollen sich damit bewusst auseinander setzen, andere zweifeln an sich. Sie denken, sie müssten schon weiter sein, müssten schon mehr darüber hinweg sein.

 

Wenn Trauer im Alltag stört, unbequem ist, unseren normalen Fluss im Alltag hindert und viele Dinge neu geordnet und neu gelernt werden müssen, kann eine Trauerbegleitung sinnvoll sein. Ebenso dient sie als geschützter Raum, die eigene emotionale Landkarte zu erkunden. Trauerbegleitung kann eine Chance sein, mich mehr zu spüren, gerade, wenn ich mich im Alltag mehr ablenke und viel weiterfunktionieren muss.

 

 

Wie immer wünsche ich Ihnen, dass Sie das alles noch lange nicht brauchen. Achten Sie auf die kleinen Trauererlebnisse im Alltag!

 

 

Herzliche Grüße,

Monika Müller-Herrman

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