Wer braucht eine Trauerbegleitung?
Die meisten Menschen kommen freiwillig in meine Praxis. Menschen suchen nach einer Trauerbegleitung, weil der Leidensdruck zu hoch geworden ist oder weil es ein Missverhältnis gibt zwischen ihrem Erleben und dem der Umgebung. Viele Trauernde erleben, dass schon nach vier Monaten die Umgebung oft darauf drängt, dass das Leben jetzt weitergeht. Während die Trauernden selbst meistens viel mehr Zeit benötigen, um sich wieder neu im Leben zurecht zu finden, ist in der Umgebung eine Mischung aus Unsicherheit und Ungeduld zu beobachten. In unserer Gesellschaft ist das Wissen, wie lange gesunde Trauerprozesse dauern können, verloren gegangen. Bei einer sehr nahestehenden Person sind ein, zwei oder drei Trauerjahre ein normaler Prozess.
Andere Trauernde kommen, weil jemand aus der Umgebung dazu geraten hat, professionelle Hilfe aufzusuchen. Vielleicht fällt die Organisation des Alltags schwer oder es sind zusätzliche psychosomatische Beschwerden hinzugekommen. Viele Trauernde klagen über Appetitmangel, über Schlafstörungen, vermehrte Infekte, wenig Freude daran, alleine zu essen und zu kochen.
Es kommen im Moment noch sehr selten Menschen aufgrund eines ärztlichen Rats in die Trauerbegleitung. Denn Trauer ist die gesunde Reaktion auf einen starken Verlust. Es gibt noch keine Krankheitskategorie „Trauerstörung“. Insofern gibt es auch keine ärztliche Überweisung, auf der so eine Diagnose stehen könnte. Dies wird evtl. 2020 eingeführt werden.
Der Entwurf für diese Störungskategorie sagt, dass sie frühestens ein halbes Jahr nach dem Trauerereignis gestellt werden darf. Manche sagen, das sei viel zu früh. Andere sagen, frühestens ein halbes Jahr nach dem Todesfall kann man beurteilen, ob die Trauer einen eher gesunden Verlauf nimmt oder ein erschwertes, verlängertes, anhaltendes Trauererleben vorliegt. Das bedeutet nicht, dass eine gesunde Trauer nur ein halbes Jahr dauern darf, sondern die Störung darf frühestens ein halbes Jahr nach dem Todesfall diagnostiziert werden.
Wie haben Psychiater versucht, diese Störungskategorie zu beschreiben?
- · Es sollte ein anhaltendes, quälendes sich Sehnen nach dem Verstorbenen vorliegen, das im Alltag als sehr belastend wahrgenommen wird. Das Leitsymptom „Sehnsucht“ wird als brennendes Verlangen, als Ausdruck tiefen Trennungsschmerzes beschrieben. Es muss täglich auftreten bzw. das Leben deutlich beeinträchtigen. Es mag hilfreich sein, sich den Zustand zutiefst unglücklichen Verliebt-seins zu vergegenwärtigen – denn diese quälende Gefühlslage ist hier gemeint. Und zwar in deutlichem Ausmaß über eine sehr lange Zeit hinweg.
- · Es gibt eine anhaltende Beeinträchtigung im alltäglichen Leben, das schlecht bewältigt wird.
- · Andere psychiatrische Störungsbilder wie z.B. Depression beschreiben das Störungsbild nicht besser.
- · Es gibt kognitive Symptome wie Vergesslichkeit, Unkonzentriertheit, Entscheidungsschwierigkeiten, Planungsschwierigkeiten.
- Das Zeitkriterium von mindestens 6 Monaten bedeutet nicht, dass alle diejenigen, die länger als sechs Monate trauern, als pathologisch einzustufen sind. Sondern, dass diejenigen, die nach 1 – 2 Jahren eine sehr hohe Belastung aufweisen, frühestens nach sechs Monaten durch Tests zur Risikoeinschätzung komplizierter Trauer „herausgefiltert“ werden können. In den ersten sechs Monaten nach einem Todesfall kann also anhand der geschilderten Symptome nicht differenziert werden, wer mit einem hohen Risiko für komplizierte Trauer behaftet ist. Der Zahlenwert kommt aufgrund von Korrelations- und Wahrscheinlichkeitsrechnungen zustande.
Sie merken, wenn Sie das lesen, dass es sehr schwer werden wird, mit dieser neu einzuführenden Störungskategorie im Beratungsalltag umzugehen. Menschen können frühzeitig für krank erklärt werden, die noch in einem gesunden Prozess sind.
Andere Menschen werden es zu schätzen wissen, dass sie eine Psychotherapie auf Krankenschein bekommen können. Aber dann werden sie merken, dass sie auf einen Therapieplatz bei einem Kassenpsychotherapeuten evtl. sehr lange warten müssen.
In einigen Berufslebensläufen, etwa wenn Sie jung sind und eine Verbeamtung anstreben, kann nur davon abgeraten werden, diesen Weg zu gehen, da sie dann als psychisch erkrankt gelten. Ebenso kann es beim Abschluss bestimmter Versicherungen Schwierigkeiten geben.
Es bleibt abzuwarten, ob sich dann die Wartezimmer der Psychiater noch mehr füllen werden oder ob niedrigschwellige Trauerbegleitung weiterhin aufgesucht werden wird. Das Angebot von Trauerberatung und Trauerbegleitung ist bis jetzt von einer großen Freiwilligkeit geprägt.
Die momentane Freiwilligkeit der Trauerbegleitung hat große Vorteile für die ratsuchenden Menschen. Sie können Rhythmus und Häufigkeit der Beratung selbst bestimmen. Jeder und jede kann selbst entscheiden, ob und wann er oder sie eine Trauerbegleitung braucht.
Wie immer wünsche ich Ihnen, dass Sie das noch lange nicht brauchen werden. Wenn es aber mal soweit sein sollte, zögern Sie nicht, sich auch die Hilfe zu holen, die Ihnen gut tut.
Mit herzlichen Grüßen,
Monika Müller-Herrmann
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