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Reden über Trauer... meine Trauer...

Reden über Trauer… meine Trauer...

 

 

Dem Aufruf von Silke Szymura folgend schreibe ich heute wie viele anderen Blogger und Texter über meine eigene Trauer. Es fällt mir schwer.

 

Das Bild zeigt mich im sommerlichen Garten meiner Großeltern, an der großen alten Schreibmaschine meines Vaters. Mein Vater hatte im Garten geschrieben, die Familiennachrichten, die er alle zwei Wochen verschickte. Schreiben war sein Hobby und ist mein Hobby geworden. Auch das Hobby meiner Mutter und meiner Schwester. Auf dem Bild war mein Leben noch in Ordnung. Ich liebte meinen Vater. Ich war von seiner Schreibmaschine fasziniert, ich liebte es, im Sommer lange bei den Großeltern zu sein.

 

 

In meinem Leben gab es vor allem zwei sehr einschneidende Trauererlebnisse. Es fällt mir sehr schwer, über die eigene Trauer zu reden. Wieviel leichter fällt es mir, hier in diesem Blog, über Trauerbegleitung und Trauer anderer Menschen zu reden…

 

 

Mein Vater starb, als ich 8 Jahre alt war. Es war Suizid. Mein ganzes Kinderleben brach zusammen, meine Kindheit war zu Ende. Ich war eine Vatertochter. Ich konnte nicht begreifen, dass mein geliebter Vater uns aus freien Stücken verlassen hatte. Als Kind wollte ich Fahndungsplakate kleben und den Mörder meines Vaters suchen lassen. Meine Mutter war zerfressen von Schuldgefühlen. Es gab keinen Abschiedsbrief. Es gibt in der Familie bis heute drei verschiedene Theorien, warum er es getan hat. Ein Teil von mir war über Jahre eingefroren. Das lebendige Kind, das so gerne auf Apfelbäume geklettert war, hatte auf einmal  Angst vorm Turnen. Unsere verbleibende Familie, meine jüngere Schwester und meine als junge Witwe völlig überforderte, alleinerziehende Mutter, zogen sehr oft um.

 

 

Ich wurde in den letzten Jahren sehr oft gefragt, warum ich nicht auch Trauerbegleitung für Kinder mache. Das ist der Grund. Kindertrauer ist meiner ureigensten Trauer zu nahe. Es brauchte Jahrzehnte, bis ich den halb eingefrorenen Teil meiner Kinderseele wiederfinden konnte. Es brauchte Jahre, bis mich um meinen Vater richtig trauern konnte, bis ich wütend sein konnte, und bis ich ihm verzeihen konnte. Mit 30 Jahren lief ich im Winter im Allgäu im Rahmen einer Kur mit Tränen durch den schneebedeckten Wald und konnte endlich sagen, Ja Vater, ich verzeihe Dir! Dadurch wurde mein Herz geheilt und es wurde endlich der Weg frei für wahre Liebe in meinem Leben. Kurz danach lernte ich meinen jetzigen Mann kennen.

 

 

Meine zweite, sehr schmerzliche Erfahrung mit Trauer war der Suizid meines besten Freundes, als ich 26 war. Ich vermisse ihn noch heute. Noch heute träume ich an jedem Jahr an seinem Todestag von ihm, überhaupt ist er mir sehr oft im Traum erschienen, besorgt um mich, liebevoll.

 

 

Zweimal habe ich in meinem Leben Menschen durch Suizid verloren, zweimal dieses unglaublich zerrissene Gefühlschaos von Liebe, Sehnsucht, Ohnmacht und Schuldgefühlen durchlebt, diese Selbstvorwürfe, dieser verzweifelte Wunsch, es wäre anders möglich gewesen, es wäre Hilfe möglich gewesen… zweimal die vielen Fragen, die so etwas aufwirft, warum es nicht zu verhindern war. Vielleicht ist deswegen bis heute Suizid keine Lösung für mich und ich bin eine entschiedene Gegnerin des assistierten Suizids als Todesform.

 

 

Ich habe auch zwei, drei natürliche Alterstode in der Familie erlebt, den Tod meiner beiden Großeltern, die sehr alt und friedlich eingeschlafen sind, und den Tod meiner Schwiegermutter, bei der wir am Bett sitzen konnten.

 

 

Die beiden Suizidtode meiner Kindheit und Jugend haben mich aber entscheidenden geprägt. Sie haben mich auf die Suche gehen lassen zum Thema Trauer, Suizid, Tod und Sterben. Ich glaube, es war die Prägung für mein ganzes Leben, dass mich diese Themen nicht mehr losgelassen haben, dass ich auf die Suche gegangen bin, was ist Trauer, was ist Sterben, was ist die Seele, was ist Glauben, was ist Trost, was ist nur Floskel, was hilft Trauernden, was half mir, was kann ich für Trauernde tun.

 

 

Wenn ich das jetzt hier noch mal lese, frage ich mich, darf man, darf ich als professionelle Trauerbegleiterin und als Hospizleitung so offen über meine Trauer reden? Macht es mich nicht angreifbar, verletzlich, ist es zu persönlich? Ist es peinlich? Ja und das ist ja genau das, worum es Silke mit dieser Aktion geht „Alle reden über Trauer…“  Viele von uns, die in diesem Bereich arbeiten, sind geprägt von unseren eigenen Trauererlebnissen. Wir haben selbst Hilfe gebraucht, um damit klar zu kommen, um sie zu durchleben, zu überwinden. Der Todestag meines Vaters und der Todestag meines ehemals besten Freundes werden immer besondere Tage in meinem Leben bleiben. Und das heißt nicht, dass ich die Trauer nie überwunden hätte. Und wenn mir beim Schreiben dieser Zeilen noch mal die Augen feucht werden. Es gibt einen festen Platz in meinem Herzen für diese beiden Menschen, für immer. Daher finde ich die Theorie der fortgesetzten Bindungen unter anderen Bedingungen so sinnvoll.

 

 

Zwei Menschen, die ich in jungen Jahren verloren haben, und die nie alt geworden sind. Wenn ich meine anderen Schulkameraden sehe, oder wenn ich meinen alten Patenonkel sehe, dann kann ich mir annährend vorstellen, wie sie heute aussehen würden. Ich bin meinem Patenonkel sehr, sehr dankbar, dass er nach dem Tod meines Vaters sehr für mich da war und seine Aufgabe sehr ernst genommen hat. Und ich bin meiner Mutter dankbar, dass sie versucht hat, mich zu trösten, auch wenn sie mich völlig damit überfordert hat, dass ich mit 8 Jahren auf einmal ihre beste Freundin sein sollte…

 

 

Ich bin froh, für die wenigen Fotos, die ich von meinem Vater habe, und die langsam verblassen. Wenn ich meinen Cousin sehe, rührt es mich sehr an, denn er ist meinem Vater sehr ähnlich.

 

 

Ich bin froh für meine Großeltern, die in vielen unruhigen Jahren ein fester Pol in meinem Leben waren, zu denen ich immer kommen konnte in den Ferien, die immer da waren für mich. Und ich bin sehr, sehr dankbar für meinen Mann, der mit mir das Schicksal teilte, in jungen Jahren zu früh seinen eigenen Vater verloren zu haben. Wir haben im ersten Jahr unseres Kennenlernens miteinander unsere Mütter und die Gräber unserer Väter besucht. So konnte Heilung geschehen.

 

 

 

Monika Müller-Herrmann

 

 

 

 Danke Silke für diese wundervolle Idee, die für mich eine schwierige Aufgabe war...

 

Meine Oma mit meinem Vater und meinem Patenonkel....

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