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Helfen Medikamente gegen die Trauer?

Helfen Medikamente gegen die Trauer?

 

 

Immer öfter kommen Menschen in meine Trauerpraxis, die mich um Tipps bitten, welche Medikamente sie nehmen könnten, um die Trauer erträglicher zu machen. Oder sie haben vom Hausarzt Medikamente bekommen und fragen mich, ob diese wirklich hilfreich und verträglich sind. Als Leitsymptom steht für diese Menschen oft an vorderster Stelle, dass sie durch die Trauer starke Schlafstörungen haben. Eine Frau formulierte es so: „Wenn ich nur endlich richtig schlafen könnte, wäre alles leichter erträglich…!“

 

 

Wie reagieren Hausärzte, wenn überwiegend ältere Frauen, meist noch in akuter Trauer, drei, vier Monate nach dem Verlust, in ihre Hausarztpraxis kommen und über schwere Schlafstörungen klagen? In den allermeisten Fällen wird keine Psychotherapie oder Trauerbegleitung empfohlen, diese suchen sich die Patientinnen aktiv selbst. In den ersten zwei Wochen direkt nach dem Todesfall sind viele Hausärzte sehr freigiebig mit Tranquilizern, Lexotanil z.B. Diese wirken beruhigend, angstlösend, machen aber sehr schnell abhängig. Daher setzt der Hausarzt sie meistens nach zwei, drei Wochen ab.

 

 

Das nächste Mittel der Wahl bei meinen Klientinnen ist dann oft Promethazin Tropfen, ein mildes Neuroleptikum, das gut individuell dosiert werden kann, nicht abhängig macht, aber auch keinerlei antidepressive Komponente enthält. Hiermit kann sich eine Besserung der Schlafstörungen einstellen, es macht aber auch tagsüber müde und lindert den Trauerschmerz gar nicht.

 

Wenn diese Medikamente nicht zu einer Linderung führen, verordnen Hausärzte dann manchmal niedrig dosierte Antidepressiva.

 

Diese führen erst nach zwei, drei bis vier Wochen Einnahme zu einer Linderung, können vor allem die Schlafstörungen gut lindern, auch den Trauerschmerz etwas abpuffern, aber sie lösen den Trauerschmerz nicht auf. Darüber hinaus haben sie in der Eingewöhnungsphase viele Nebenwirkungen wie Schwindel, Übelkeit, Sehstörungen, Mundtrockenheit und manchmal auch Müdigkeit tagsüber. Die psychiatrische Lehrmeinung ist, dass Antidepressiva nicht abhängig machen. Die psychologische Trauerforschung zeigt, dass sie zwar das Symptom der Schlafstörungen lindern, aber nicht wirklich gehen die schwere Trauer- und Verlusterfahrung helfen. Das starke Gefühl, dass ein geliebter Mensch gestorben ist, dass Gefühl der Sinnlosigkeit, der Trauer und des Verlustes können diese Medikamente nicht nehmen.

 

 

Darüber hinaus kommt es zu Absetzungserscheinungen, wenn die Antidepressiva nach einem halben Jahr oder Jahr wieder abgesetzt werden: Die Schlafstörungen und die Trauergefühle können wieder zurückkehren, es kann auch zu Verdauungsstörungen kommen.

 

 

Manche Trauernde greifen lieber zu freiverkäuflichen Beruhigungsmitteln wie Baldrian oder Johanniskraut, die aber meist nur bei Einschlafstörungen helfen, nicht bei Durchschlafstörungen. Eine Patientin von mir trank fast über den ganzen Tag verteilt immer wieder schluckweise Beruhigungs- und Nerventee, damit hielt sie sich über Wasser.

 

 

Das führt zur Ausgangsfrage zurück… helfen Medikamente gegen die Trauer? Seit Sigmund Freud wissen wir, dass Trauerarbeit notwendig ist, um die Trauer zu verarbeiten. Dies kann in Form einer Psychotherapie, einer Trauerbegleitung oder gut begleitet im Freundeskreis, in der Kirchengemeinde, in einem Trauercafé geschehen. Trauernde Menschen müssen begreifen, dass der Verstorbene wirklich tot ist, sie müssen neue Aufgaben in ihrem Leben bewältigen, die Dinge des Verstorbenen verabschieden, vielleicht ein Zimmer räumen oder eine Wohnung ausräumen, sie müssen sich viele neue Fähigkeiten aneignen und mit einer Fülle quälender, überwältigender und chaotischer Gefühle klarkommen.

 

 

Medikamente helfen dabei nur bedingt oder gar nicht. Trauernde haben seelische und praktische  Aufgaben zu lösen, auf ihrem Weg zurück ins Leben ohne den geliebten Menschen. Dabei brauchen Sie seelische Unterstützung, manchmal auch seelsorgerliche Begleitung, oft den Austausch mit anderen Trauernden und manchmal auch sozialarbeiterische Hilfen.

 

 

Dennoch ist der Leidensdruck gerade beim Symptom Schlafstörung oder beim Symptom Antriebslosigkeit oft so hoch, dass dem Hausarzt gegenüber immer wieder der Wunsch nach medikamentöser Linderung geäußert wird. Ich verstehe es, wenn der Hausarzt dem nachgibt. In meiner Trauerpraxis und in den Trauercafés begegnen mir daher immer wieder Menschen, die parallel zur Trauerbegleitung medikamentöse Hilfe in Anspruch nehmen. Ich lehne das nicht grundsätzlich ab, stelle mich dann aber darauf ein, dass mit den Medikamenten auch ein Teil der Gefühle weggepuffert wird, die für den Trauerprozess heilsam und notwendig sind. Ich kann es verstehen, wenn Trauernde nach dieser Krücke greifen. Ich rate nicht grundsätzlich davon ab.

 

 

Schlafstörungen können sehr, sehr quälend sein und die Lebensqualität sehr beeinträchtigen. Ich frage die Trauernden oft, wie viel Geduld sie mit sich selbst haben, ob sie sich damit annehmen können. Es geht auch oft um die Geduld der Umgebung, der restlichen Familie, des Arbeitsplatzes. Wie lange kann ich mir beruflich eine Krankschreibung leisten? Wie sehr muss ich als junge Witwe für meine Kinder funktionieren und die verbliebene Familie am Laufen halten?

 

 

Es gibt auf die Frage, ob Medikamente gegen Trauer helfen, keine einfache Antwort. Auf alle Fälle gehören alle diese Medikamente nicht auf Dauer in die Hände von Hausärzten, sondern von Fachärzten. Auch wenn hier erfahrungsgemäß große Hemmungen bestehen, den Psychiater aufzusuchen und oft monatelang auf einen Facharzttermin gewartet werden muss, ist ein Psychiater oder eine Psychiaterin dann für die längerfristige Einnahme von Psychopharmaka die / der bessere Begleiter. Er / Sie wird auch eher im Blick haben, was psychotherapeutisch oder zur Trauerbegleitung sonst noch getan werden könnte.

 

 

Wie immer hoffe ich, dass Sie das noch lange nicht brauchen. Wenn Sie Hilfe benötigen oder Fragen haben, zögern Sie nicht, mich anzurufen.

 

 

Herzliche Grüße,

 

Monika Müller-Herrmann

 

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Kommentare: 15
  • #1

    dagmar.peitl@googlemail.com (Montag, 20 März 2023 15:48)

    Mein Hund ist gestorben. Komme nicht mehr klar mit dem Leben.

  • #2

    Monika Müller-Herrmann (Dienstag, 21 März 2023 10:25)

    Liebe Frau Peitl,
    die Trauer um ein langjähriges Haustier kann einen sehr aus der Bahn werfen. Ich selbst bin keine Expertin für Haustiertrauer, könnte Ihnen aber jemanden vermitteln, wenn Sie das wünschen, eine Kollegin aus Wiesbaden.

    Mit herzlichen Grüßen
    Monika Müller-Herrmann

  • #3

    Eric (Sonntag, 02 Juli 2023 00:31)

    Meine Schwester ist 2020 verstorben und seit dem nimmt meine Mutter Medikamente. Sie ist dadurch ein völlig anderer Mensch geworden.Ich weiss nicht wie ich es ihr erklären soll,ohne Medikamente zu trauern und das Geschehen so zu verarbeiten. Das bedrückt mich sehr Ich selbst habe den Tod meiner Schweister ohne Medikamente verarbeitet bzw.bin immer noch dabei.LG

  • #4

    Monika Müller-Herrmann (Sonntag, 02 Juli 2023 18:28)

    Lieber Eric,
    für manche Menschen sind Medikamente in der Trauer ein Überlebenshilfsmittel. Sie beschreiben, dass sich Ihre Mutter völlig verändert hat. Der Verlust des eigenen Kindes kann eine Mutter völlig verändern, mit Tabletten oder auch ohne. Vielleicht schreiben Sie einen Effekt den Tabletten zu, der eher durch die Trauer verursacht wird? Ich glaube nicht, dass die meisten Tabletten gegen die Trauer helfen, denn der Verlust des geliebten Menschen bleibt ja, aber wenn die Trauer in die Depression übergeht, kann es manchmal nötig sein, Tabletten zu nehmen.
    Vielleicht können Sie Ihrer Mutter sagen, dass Sie in Sorge um Sie sind? Denn das meine ich, aus Ihren Zeilen herauszulesen: Dass Sie sich große Sorgen um Ihre Mutter machen.

    Mit herzlichen Grüßen,
    Monika Müller-Herrmann

  • #5

    Eric (Mittwoch, 05 Juli 2023 23:12)

    Vielen Dank für Ihre Antwort! Ich kann meine Mutter verstehen, da ich selber 3Kinder habe und es nicht verkraften könnte,wenn eines vor mir gehen würde. Aber durch die Tabletten fehlt meiner Mutter irgendwie die Emotion und sie ist hibbelig und schwitzt viel.Ich weiss nicht,ob das so gut für sie ist.

  • #6

    Monika Müller-Herrmann (Donnerstag, 06 Juli 2023 12:09)

    Lieber Eric,
    es gibt eine Erstarrung in der Trauer, bei der die Gefühle wie eingefroren wirken. So wie Sie es beschreiben, wäre für Ihre Mutter vielleicht eine professionelle Trauerbegleitung gut? Oder eine Psychotherapie? Damit sie die Medikamente wieder absetzen kann?
    Fragen Sie doch bei einem Hospizverein in Ihrer Nähe oder beim Bundesverband Trauerbegleitung. Ihre Mutter muss es natürlich auch selbst wollen. Oder Sie gehen zum ersten Termin gemeinsam hin?

    Mit herzlichen Grüßen
    Monika Müller-Herrmann

  • #7

    Eric (Samstag, 15 Juli 2023 00:26)

    Hallo.Meine Mutter ist ja in psychologischer Behandlung. Daher ja die Tabletten.Ich weiss nicht,wie ich ihr schonend beibringen kann,dass die Tabletten auf Dauer nicht gut sind.
    Ist alles schwierig.

  • #8

    Monika Müller-Herrmann (Samstag, 15 Juli 2023 11:42)

    Lieber Eric,
    eine psychologische Behandlung erfolgt rein mit Worten und Gesprächen. Medikamente verschreiben können und tun nur Ärzte, in diesem Fall vielleicht der Hausarzt oder der Psychiater. Vielleicht kannst Du ja mal sagen, dass Du mit ihr gemeinsam zu Ihrem Behandler gehen willst? Ein Angehörigengespräch haben willst, wo Du Deine Sorgen äußern kannst? Wenn Deine Mutter nur Tabletten bekommt und nicht ausreichen Gespräche von einer Psycholog*in oder Trauerbegleiter*in parallel oder begleitend, ist das wirklich schwierig.
    Mit herzlichen Grüßen,
    Monika Müller-Herrmann

  • #9

    Olga Winter (Montag, 27 November 2023 09:03)

    Liebe Frau Müller Herrmann,
    schön ,dass es die gibt.
    Ich bin 71 Jahre und alleinstehend.
    Meine Mutter ist vor 6 Jahren verstorben,seither befinde ich mich in pathologischer Trauer .Wir waren zeitlebens zusammen .Sie ist permanent in meinen Gedanken und ich lebe nur in der Vergangenheit mit Schuldgefühlen,da ich mich oft sehr verletzend ihr gegenüber benommen habe.Bin auch ohne Hausarzt,da ich umgezogen bin.
    Was raten die mir als nächsten Schritt?
    Danke im Voraus und herzliche Grüße aus Freiburg im Breisgau
    Olga Winter

  • #10

    Monika Müller-Herrmann (Montag, 27 November 2023 13:04)

    Liebe Frau Winter,
    Sie können sich über die Homepage des Bundesverbands Trauerbegleitung eine Trauerbegleiterin in Ihrer Nähe suchen und natürlich brauchen Sie so bald wie möglich einen neuen Hausarzt. Wenn Sie selbst sagen, dass Sie so lange schon in "pathologischer Trauer" seien, dann wäre evtl. auch eine psychologische Psychotherapeutin richtig, daber da gibt es meistens Wartelisten.
    Mit herzlichen Grüßen
    Monika Müller-Herrmann

  • #11

    Wula (Montag, 15 Januar 2024 22:25)

    Liebe Frau Herrmann,
    mein Sohn ist 2021 mit nur 18 Jahren verstorben. Das Kind zu verlieren ist das Schlimmste was passieren kann. Ich habe einige Trauerfälle hinter mir, meine Eltern,meine Schwester und nun auch mein Sohn. Ich kenne die Trauerzeit...aber meinem Kind komme ich nicht drüber weg. Es bleibt eine sehr große Lücke. Ich habe damals mich gegen Antidepressiva entschieden und habe die Neuropas Balance genommen, die mir auch geholfen haben. Ich war und bin wieder in Therapie, habe wieder die pflanzlichen Tabletten genommen, aber ich komme aus meinem Tief nicht mehr raus und habe Angst in eine Depression zu fallen. Ich habe eine 24jahrige Tochter für die ich stark sein muss, aber mir derzeit einfach die Kraft fehlt. Ich bin am Überlegen ob ich mir Antidepressiva jetzt verschreiben lassen soll, da ich mir nicht mehr zu helfen weiß. Auch bin ich in einer Selbsthilfegruppe.. Ich weiß nicht was ich machen soll.Vielen Dank jetzt schon für Ihre Rückmeldung!VG Wula

  • #12

    Monika Müller-Herrmann (Dienstag, 16 Januar 2024 16:19)

    Hallo Herr oder Frau Wula,

    vielleicht ist es einen Versuch wert, mit Antidepressiva zu beginnen. Besprechen Sie es auf alle Fälle mit Ihrer Therapeutin oder Therapeuten und Ihrem Arzt. Trauer um ein Kind ist anders als Trauer um die Eltern. Sie hält oft deutlich länger an. Holen Sie sich die Hilfe, die Sie brauchen.
    Mit herzlichen Grüßen,
    Monika Müller-Herrmann

  • #13

    Monika (Sonntag, 04 Februar 2024 01:20)

    Meine Mama ist gestorben. Ich dachte,sie wird ewig leben. Nein, nach dem Gehirnschlag ging es ihr unterschiedlich: bergauf und wieder schlimmer etc. Ich kann es nicht wahrnehmen, dass sie nicht mehr bei mir ist und kann nicht aufhören zu weinen � Schlafen kann ich einigermaßen, nicht immer, nehme pflanzliche Mittel, aber tagsüber weine ich ständig mit kurzen Pausen, in denen bete ich.

  • #14

    Monika (Sonntag, 04 Februar 2024 01:29)

    P.S.ich bin auch alleinstehend. Habe grade den Kommentar von Olga W.gelesen, dass sie 6 J.unter pat. Trauer leidet und kriegte Angst, was ist, wenn mit mir auch das passiert. Jetzt sind nur 3 Wochen vergangen, und mit jedem Tag wird es mir schlimmer und schlimmer...

  • #15

    Monika Müller Hermann (Montag, 05 Februar 2024 07:52)

    Liebe Monika,
    Danke, dass Sie den Mut haben, hier zu schreiben. Ihre Trauer ist noch ganz frisch und völlig normal aus meiner Sicht. Ob eine Trauer zu einer Krankheit geworden ist, kann man frühestens nach einem halben Jahr oder besser einem ganzen Jahr sagen. Holen Sie sich Hilfe in Ihrer Nähe, vielleicht eine Trauerbegleitung oder eine Psychologin.
    Herzliche Grüße
    Monika Müller-Herrmann