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Umgang mit Weinen in Gruppen

Umgang mit Weinen in Gruppensituationen – online und offline

 

 

Ich habe fast 20 Jahre Erfahrungen mit Gruppen, Selbsthilfegruppen, Hospizgruppen, Trauergruppen, es hat immer wieder mal jemand geweint… es hat mir nie Angst gemacht… Nun ist es im realen Leben auch leichter als jetzt in der Corona-Krise, wo wir alle auf Distanz bleiben müssen und viele Menschen sich online, virtuell begegnen und austauschen.

 

 

Getreu der Themenzentrierten Interaktion nach Ruth Cohen, die den Umgang mit einer Gruppe, einer Leitung und einem Thema beschreibt, hat die Störung Vorrang. Wenn eine Person weint, ist die Gruppe emotional bewegt, eine Person ist so bewegt vom Thema oder von Erinnerungen, dass sie weint. Es ist eine Störung, die verbietet, einfach mit dem Stoff weiter zu machen. Das ist erst einmal ein ganz natürliches Gefühl. Wenn eine Person herzhaft lacht, empfinden wir das ja auch als natürlich, wenn alle lachen würden, müssen wir auch eine kurze Pause einlegen.

 

 

Weinen ist eine natürliche, heilsame Reaktion auf eine schmerzliche Erinnerung, auf Traurigkeit, vielleicht auch einen Anflug von Sentimentalität. Es ist erst einmal nichts Krankhaftes. Es besteht oft in der Gruppe, wenn eine Person weint, das spontane Gefühl, dass jetzt etwas zu tun wäre. Im realen Gruppenleben reichen wir vielleicht ein Taschentuch, wir bieten eine Hand an, wir wollen Trost spenden. Und oft wollen wir unbewusst, dass das Weinen bald wieder aufhört. Vielleicht werden uns auch selbst die Augen feucht, da wir in eine empathische Schwingung gehen.

 

 

Wir können uns behutsam von dem Gedanken lösen, dass wir sofort etwas tun müssten und dass wir offline, bei Zoom oder in Telefonkonferenzen keine Interventionsmöglichkeiten hätten. Die wichtigste Intervention ist, verbal und nonverbal zu signalisieren, Tränen sind erlaubt. Alle Gefühle sind erlaubt, Lachen und Weinen. Ich sage dann oft, Ihnen kommen jetzt die Tränen, das ist erlaubt. Ich frage, haben Sie ein Taschentuch, möchten Sie sich eines holen? Und ich frage oft, was brauchen Sie jetzt? Es ist nicht immer die Umarmung, die jemand wünscht und braucht, oft ist das gerade zu viel. Und auch die schnell gereichten Taschentücher signalisieren ja indirekt, dass die Tränen schnell getrocknet werden sollen.

 

 

Weinen reduziert Spannung, es löst Gefühle, es ist oft eine heilsame Reaktion. Wenn jemand zu sehr schluchzt, sage ich vielleicht einmal behutsam, atmen Sie einmal bewusst durch, gönnen  Sie es sich, eine kleine Atempause zu machen. Ich sage, Tränen sind bei diesem Thema ganz natürlich. Es können Erinnerungen ausgelöst werden und schmerzhafte Gefühle.

 

Ich frage, ob sich jemand zurückziehen möchte, ob er ein Einzelgespräch nachher haben möchte. Ich würde niemanden bitten, aus dem Raum zu gehen, da das ja ein  Signal ist, dass Tränen und Trauergefühle nicht erlaubt sind. Aber wenn ich die Person frage, was sie braucht, kann sie es ja sagen.

 

 

Das Weinen gehört dazu, und im Regelfall hört es ganz von selbst wieder auf. In keiner Krankengeschichte und in keinem Märchen der Welt ist davon die Rede, dass sich jemand zu Tode geweint hätte. Aber es gibt viele Märchen, in denen aus den Tränen kostbare Perlen werden, die zu Schmuckstücken werden…

 

 

In meinem alten Trauercafé Team hatten auch viele ehrenamtliche Kolleginnen die Angst, was machen wir, wenn jemand nicht zu weinen aufhört…? Es ist in der Tat nie vorgekommen, dass jemand bei uns so lange geweint hat, dass wir den Arzt rufen mussten. Viele Menschen regulieren ihre Gefühle über Weinen oder Lachen und kehren dann von selbst wieder zu einer normalen Schwingungslage zurück.

 

 

Versuchen wir, uns von dem Gefühl zu lösen, wir müssten ganz viel machen, wenn jemand weint. Innehalten, wahrnehmen, dem Gefühl Würdigung geben und Erlaubnis erteilen, etwas Geduld, dass es mit dem Stoff nicht sofort weitergeht, und ein liebevolles Gespür für die Person, die es betrifft.

 

 

Natürlich haben wir bei Telefonkonferenzen oder bei Videokonferenzen weniger Möglichkeiten als in einer Runde. Aber die Sprache bleibt als das wichtigste Werkzeug der Psychotherapie und der psychosozialen Interaktion neben Gestik, Mimik, Klang der Stimme und Körperhaltung erhalten.

 

 

Ich biete jetzt seit sechs, sieben Wochen Trauergruppen in Form von Telefonkonferenzen an. Ich hätte mir nicht vorstellen können, wie gut das funktioniert, weil alle sehr achtsam und rücksichtsvoll miteinander umgehen… es weint auch immer wieder mal jemand und wir halten dann kurz inne. Es passiert nichts Schlimmes. Tränen dürfen sein.

 

 

Herzliche Grüße an alle Kolleginnen und Kollegen, die Kurse oder Gruppen auf diesen neuen Wege anbieten,

 

 

 

Monika Müller-Herrmann

 

Palliativpsychologin, Trauerbegleiterin, Psychoonkologin.

 

 

 

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