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Darf eine Psychologin über Gott reden?

Darf eine Psychologin auch über Gott reden?

 

In den letzten zwei Wochen kam ich mit mehreren Klientinnen ins Gespräch über Gott. Nicht immer Gott im engeren Sinne, manchmal auch höhere Macht oder der Sinn des Lebens. Darf eine Psychologin über Gott reden? Im Sinne der vier Dimensionen der Hospiz- und Palliativarbeit hat auch die Palliativpsychologie ein bio-psycho-sozio-spirituelles Modell. Und so arbeite ich auch als Trauerbegleiterin.

 

Mir kommt zu Hilfe, dass ich Altenpflegerin bin, mich daher mit Medikamenten auskenne und mit einigen Laborwerten. So frage ich meine Klientinnen regelmäßig nach ihrer Medikation, vor allem gezielt nach Schilddrüsenmedikamenten, Antidepressiva und Benzodiazepinen. Ich frage nach sozialen Themen wie der finanziellen Absicherung, Krankmeldung, Arbeitslosenmeldung, Rehaanträgen oder ähnlichem. Im äußersten Notfall gebe ich auch sozialarbeiterische Hinweise. Ich frage aber auch genauso regelmäßig nach dem spirituellen Hintergrund. Spiritualität kann eine wichtige Ressource, aber auch ein Hemmnis sein. Menschen in Trauer haben oft Groll auf Gott.

 

Viele Klientinnen quält die Warum Frage. Warum konnte Gott das zulassen? Oder auch, was hat sich Gott nur dabei gedacht? Selbst gläubige Menschen, die vorher regelmäßige spirituelle Praxis oder Gebetspraxis hatten, geraten in der Trauer in Zweifel und an Grenzen.

 

Ich verweise hier immer auf das Modell der Klagemauer in der christlich-jüdischen Tradition. Das Wichtigste ist, dass der Dialog mit Gott nicht abbricht, und wenn er nur aus Klagen und Weinen besteht. Es gibt auf die Warum Frage keine wirklich überzeugende Antwort. Auch im Buch Hiob nicht, wie mir mal ein Theologe in einer schweren Trauersituation riet. „Lies das Buch Hiob, da findest du die Antwort! Ich war eine tapfere Theologiestudentin, ich las das Buch Hiob gründlich, aber ich fand keine Antwort, außer, dass Gott gütig, allmächtig, aber auch ungerecht und undurchschaubar ist in seinen Plänen. Es gibt einen Popsong, in dem es heißt, god is a tender pervert. So kam es mir damals vor. Es ist ein Mythos, dass jeder Verlust uns weiterbringt und reifen lässt. Ja, manchmal ist das so. Und manchmal können wir das erst nach zig Jahren sehen.

 

Ja, ich habe vier Semester Theologie studiert. Vielleicht hilft mir das, auch mal theologisch zu denken. Ich habe viel gelesen zum Theodizee Problem. Wie kann Gott, wenn er gütig und allmächtig ist, diese Ungerechtigkeit in dieser Welt zulassen? Oder ist er gütig, hat aber irgendwann auf seine Allmacht verzichtet?

 

Ich gebe als Psychologin und Trauerbegleiterin keine theologischen Antworten. Aber ich weiche diesen Fragen nicht aus. Ich gehe mit hinein. Ich bin selbst sehr gläubig, bete täglich, in meiner ganz eigenen Form. Ich bin mit meinem Glauben durch die Verluste in meinem Leben durch manche Krisen gegangen. Ich kann mich einfühlen, wenn ein Mensch an seinem Glauben, an Gott, am Sinn des Lebens verzweifelt. Zweifel gehören dazu.

 

Ich frage oft, haben Sie einen Seelsorger*in oder eine Glaubensgemeinschaft, der sie sich zugehörig fühlen? Wie mache ich eine spirituelle Anamnese? Ich frage:

 

1.       Gehören Sie zu einer bestimmten Konfession, Weltanschauung oder Glaubensgemeinschaft?

2.       Gehören Sie zu einer Gemeinde oder Glaubensgemeinschaft hier in der Nähe?

3.       Möchten Sie, dass ich einen Seelsorger oder eine Person dieser Glaubensgemeinschaft verständigen soll?

4.       Möchten Sie mit mrt über Ihren Glauben oder Ihre Spiritualität reden oder mit jemand anderem?

 

Vier einfache, schlichte Fragen, vor denen niemand in der Trauerbegleitung oder in der Hospiz- und Palliativarbeit Angst haben sollte. Gute, einfache, weiterführende Fragen, die ich natürlich stelle, ohne im Sinne meiner eigenen Religion oder Weltanschauung zu missionieren.

 

Aber ich gebe manchmal ein Angebot von spirituellen Techniken wie Meditation, Dankbarkeitslisten schreiben, zusammen eine Kerze anzünden, eigene Rituale finden, um sich anzunähern, dass da mehr ist.

 

Die Frage nach der Weltanschauung oder Spiritualität spielt auch dann in der Trauerbegleitung eine Rolle, wenn es um die Jenseitsvorstellungen geht. Viele Trauernde wünschen sich auf einmal ein Weiterleben nach dem Tod, auch wenn sie vorher gar nicht daran geglaubt haben. Hier werde ich oft sehr direkt gefragt, glauben Sie an ein Weiterleben nach dem Tod? Natürlich gebe ich die Frage zurück, aber wenn es jemand wirklich wissen will, sage ich ja.

 

Ein weiteres Thema ist der Umgang mit den Träumen der Trauernden von Verstorbenen. Wie sind sie zu deuten? Dazu gibt es hier einen weiteren Blogartikel, den findet Ihr hier. Der Artikel ist mit Abstand am Häufigsten angeklickt worden von allen Artikeln hier auf dieser Seite. Auch dabei kommt es sehr auf die Weltanschauung und die spirituelle Sicht an.

 

Ich bin in einer tiefen, existentiellen Trauerkrise abwechselnd zu meiner Therapeutin gegangen, die mit mir nicht über Gott reden wollte, und zu meinem Seelsorger, der mit meiner Trauer leider auch überfordert war, aber gut seelsorgerlich-theologisch reflektieren konnte mit mir. Ich hätte mir damals sehr gewünscht, beides in einer Person zu bekommen.

 

Um die eingangs gestellte Frage zu beantworten: Ja, ich finde, eine Psychologin darf nicht nur über Gott reden, ich finde, sie sollte es sogar. Zumindest keine Angst davor haben. Es natürlich nicht von selbst offensiv, missionarisch als Thema einbringen. Aber nicht zurückweichen, wenn jemand diese Themen in der Trauerbegleitung anschneidet.

 

Der Engel mit dem angeknacksten Flügel begleitet mich schon seit Jahren, er ist ein Geschenk von einem sehr guten Pfarrer. Gerade in seiner Unvollkommenheit und Verletzlichkeit spendet er mir Trost.

 

Ich freue mich auf die Kommentare und Fragen zu dem Artikel!

Monika Müller-Herrmann

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