
# Wenn Hochsensible trauern – Besonderheiten in der Trauerverarbeitung
Eine mächtige, alte Buche lag nahe meinem Wanderweg. Nur ein Baum von vielen - aber ich blieb stehen und sah genauer hin. Ihre Wurzeln ragten in den Himmel, der Boden lag offen wie eine Wunde. Das Blätterdach des Waldes war offen und licht an dieser Stelle.
Es musste ein heftiger Sturm gewesen sein, der sie niedergeworfen hatte. Ich stellte mir vor, wie der starke Stamm herangewachsen war- einige hundert Jahre lang. Jetzt lag er niedergestreckt im Unterholz.
Doch was mich erstaunte, war das Leben, das sich in kurzer Zeit um ihn herum entwickelt hatte: frisches Grün regte sich überall und junge Sprösslinge streckten sich empor. Es war, als wollte die Natur zeigen, dass selbst aus dem größten Verlust neues Leben entsteht. Der Anblick brachte mich zum Nachdenken – über Trauer, Verlust und die Kraft, die in der Verarbeitung dieser Gefühle liegt.
Hochsensible Menschen, immerhin etwa 20 Prozent der Bevölkerung, können von Verlust und Abschied besonders tief getroffen werden. Welche Herausforderungen besonders sensible Personen in der Trauerverarbeitung erleben und wie sie diese auf eine heilsame Weise bewältigen können, erfahren Sie in diesem Artikel.
## Wie Hochsensible Verluste wahrnehmen und verarbeiten
Vielleicht kennen Sie das Gefühl, dass Ihnen die Trauer den Boden unter den Füßen wegzieht. Hochsensible Menschen nehmen Verluste oft vielschichtiger wahr. Sie spüren nicht nur die eigene Traurigkeit, sondern fühlen auch die Emotionen ihres Umfelds mit. Diese Empathie kann eine tiefe Verbindung schaffen, aber auch schwer zu bewältigen sein.
Die intensiven Gefühle, die Hochsensible erleben, kommen häufig in Wellen: mal heftig und tosend, mal leise und flüsternd. Trauer kann sich auch körperlich ausdrücken – durch Schlaflosigkeit, Erschöpfung oder eine Empfindung von Schwere.
Ein hochsensibler Mensch hat meist ein tiefes Bedürfnis, die Bedeutung eines Verlustes zu erfassen und zu verarbeiten. Er stellt dann Fragen wie: Warum musste das passieren? Was bedeutet dieser Verlust für mein Leben? Diese Suche nach Sinn kann gleichzeitig tröstlich und herausfordernd sein.
Eine Besonderheit im Trauerprozess hochsensibler Menschen sind ihre manchmal sehr lebhaften Träume von Verstorbenen. Diese können tröstlich sein, manchmal aber auch aufwühlend. Wie man damit umgehen kann, beschreibt Monika Müller-Herrmann in einem eigenen Artikel ausführlich. Weiterlesen: https://www.praxis-mueller-herrmann.de/2019/05/19/tr%C3%A4ume-von-verstorbenen-geschenk-oder-belastung/
## Spezifische Herausforderungen für Hochsensible in der Trauer
Ein Verlust trifft Hochsensible oft besonders hart. Da ihre Reizschwelle niedriger ist, empfinden sie die Umwelt in Trauerzeiten immer wieder als zusätzlich belastend. Vielleicht kennen Sie es selbst: Lärm, viele Menschen oder ständige Anforderungen des Alltags werden plötzlich zu einem kaum erträglichen Stress.
Dazu kommt häufig die soziale Isolation. Hochsensible ziehen sich in Trauerphasen in der Regel zurück. Doch genau dieser Rückzug kann von anderen missverstanden werden – als Desinteresse oder Ablehnung, wobei es ja gar nichts damit zu tun hat.
Hochsensible schwingen oft noch lange mit ihrer Trauer mit, während das Umfeld vielleicht schon zur Tagesordnung übergegangen ist. Sie erleben Zeit anders. Das kann ebenfalls zu einem Gefühl der Isolation führen, auch wenn sie eigentlich nicht allein sind. Lesen Sie mehr über das veränderte Zeitempfinden in der Trauer: https://www.praxis-mueller-herrmann.de/2019/02/28/von-der-ungleichzeitigkeit-des-trauerns/
Außerdem neigen hochsensible Menschen neigen dazu, sich selbst zu überfordern und ihre eigenen Bedürfnisse hinten anstellen - und ihre Trauer wegschieben, statt sie zu durchleben und zu verarbeiten.
## Hilfreiche Strategien für Hochsensible in der Trauer
Was aber hilft hochsensiblen Menschen, ihre Trauer heilsam zu durchleben und ihre emotionale Balance zurückzugewinnen?
1. Rückzug erlauben: Gönnen Sie sich Zeiten des Alleinseins, um Ihre Gefühle in Ruhe zu spüren und zu verarbeiten.
2. Gefühle ausdrücken: Finden Sie Wege, um Ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen – sei es durch Schreiben, Malen, Musik oder Gespräche mit vertrauten Menschen.
3. Reize reduzieren: Schaffen Sie sich einen geschützten Raum, in dem Sie Reizüberflutung vermeiden können. Das kann ein ruhiger Ort in Ihrem Zuhause sein, an dem Sie sich geborgen fühlen.
4. Unterstützung suchen: Denken Sie auch, dass Sie anderen ja nicht zur Last fallen wollen? Einige Menschen in unserem Umkreis warten oft nur darauf, auch einmal für uns da zu sein. Doch auch ein professioneller Trauerbegleiter oder eine Trauerbegleiterin kann eine wertvolle Unterstützung sein. Ein Gespräch mit jemandem, der ein Verständnis für den hoch sensiblen Gemütszustand hat, in dem wir uns als Trauernde befinden, kann uns so guttun.
Wenn Sie sich hier im Blog umgesehen haben, möchten Sie sich vielleicht gleich einen Termin mit Monika Müller-Herrmann sichern: https://www.praxis-mueller-herrmann.de/kontakt/
5. Achtsamkeit üben: Kleine Rituale wie ein Spaziergang in der Natur, Meditation oder bewusstes Atmen helfen, im Moment zu bleiben und emotionale Überforderung zu reduzieren.
Für hochsensible Trauernde können Feiertage und festliche Zeiten besonders herausfordernd sein. Die vielen Eindrücke, Erwartungen und emotionalen Erinnerungen können überwältigend sein. Hier im Blog finden Sie Artikel zu verschiedenen Festzeiten, die Ihnen helfen können, sich besser auf diese besonderen Phasen vorzubereiten, zum Beispiel hier: https://www.praxis-mueller-herrmann.de/2022/04/07/trauer-und-ostern/
Liebe Leserin, lieber Leser, Trauer ist oft wie eine dunkle Wolke, doch sie trägt auch das Potenzial für Veränderung und neues Leben in sich. Sie kann Ihre Wahrnehmung vertiefen und Ihr Leben auf neue Weise bereichern.
Solche Gedanken scheinen zunächst vielleicht ganz unmöglich, ja geradezu absurd. Tritt doch der Tod mit unbegreiflicher Gewalt in unser Leben!
Aber Trauer ist kein unveränderlicher Zustand, sondern ein Prozess, der uns formt und begleitet. Abschiede begleiten uns seit der Geburt und lehren uns immer aufs Neue, loszulassen und zu wachsen.
Als hochsensibler Mensch haben Sie die besondere Gabe, das Leben in seiner Tiefe zu spüren – und auch dem Schmerz eine Bedeutung zu geben. Der Verlust eines geliebten Menschen ist immer zutiefst schmerzhaft. Doch er bietet auch Raum, sich an das Gute und Schöne zu erinnern, das dieser Mensch in Ihr Leben gebracht hat.
Wenn unser Herz weh tut, dann ist es ein Ausdruck für die Liebe, die wir empfinden. Diese Liebe bleibt ein Teil von uns, auch wenn wir Abschied nehmen. Vertrauen Sie darauf, dass diese Liebe die Kraft hat, Sie zu tragen und zu heilen, Schritt für Schritt. Er oder sie hätte es sicher auch so gewollt. Vertrauen Sie darauf, dass Gedenken und neues Leben sich nicht ausschließen und dass Heilung möglich ist – Schritt für Schritt.

Über den Autor des Artikels:
Götz Uwe Kreß hat aus seiner eigenen Hochsensibilität eine besondere Stärke gemacht und hilft heute sensiblen Menschen, ihre Fähigkeiten als Kraftquelle zu nutzen. Auf seiner Webseite https://sensiblehelden.de erfahren Sie, wie Sie Ihre Sensibilität nicht als Hürde, sondern als außergewöhnliches Talent einsetzen können. Machen Sie den kostenlosen Test und entdecken Sie, wie Sie das volle Potenzial Ihrer Sensibilität entfalten können.
Götz Uwe und ich kennen uns aus einer gemeinsamen Coaching-Gruppe. Ich habe ihn eingeladen, den Artikel für mich zu schreiben, da ich diesen Aspekt der Trauer sehr interessant fand.
Monika Müller-Herrmann
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